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Published: 2014-08-12 09:21:52 +0000 UTC; Views: 377; Favourites: 0; Downloads: 0
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Description
Chapter 4Jake wachte an diesem Morgen als Erster auf.
Die Sonne war noch nicht am Horizont erschienen, als die Klapperschlange ihren langen Körper aufrollte und zum Eingang der Höhle kroch. Die Luft war noch kühl, aber es versprach ein heißer, sonniger Tag zu werden.
So langsam kamen ihm die Ereignisse von gestern Abend wieder in den Sinn. Für einen Moment wunderte er sich selbst darüber, dass ihm diese Fragen überhaupt durch seinen Kopf gegangen waren. Irgendwie hatte die Nacht einen völlig anderen Einfluss auf die Gedanken als am Tag. Es stimmte. Am nächsten Tag sah man die Welt wieder mit ganz anderen Augen.
Er kroch zurück ins Innere der Höhle. Das Lagerfeuer war längst erloschen. Nur eine leichte Glut glimmte noch im verkohlten Holz.
Sein Blick wanderte zu Rango. Er lag auf der Seite und rührte sich nicht. Ein leichter Schock durchfuhr Jake. War er tot? Erst als er sachte Rangos Rücken berührte und dieser etwas jammerte, atmete er erleichtert auf.
Warum wollte er nicht, dass er stirbt? Im Grunde konnte es ihm doch völlig egal sein. So etwas wie Mitleid hatte er bis jetzt noch nie verspürt. Jetzt tat ihm die kleine Echse doch etwas leid, wie er da so am Boden lag und vielleicht sogar bald sterben könnte.
Er verscheuchte den Gedanken sofort wieder. Dieser Sheriff sollte sich nur nicht einbilden, dass er sanft mit ihm umgehen würde, nur weil er ihm einmal seinen Respekt gezollt hatte! Er stieß Rango, mit seinem Revolver, auf die Schulter. Doch Rango machte keine Anstalten aufzuwachen. Er musste ihn rütteln. So langsam öffnete Rango die Augen.
„Los, aufstehen!“, befahl Jake.
Erst jetzt schien Rango seine Umgebung bewusst wahrzunehmen. Stöhnend stützte er sich auf seine Hände.
Jake beobachtete ihn ungeduldig. Ihm war nicht verborgen geblieben, dass Rango heute weniger munter war als gestern. Er machte sogar einen eher geschwächten Eindruck. Es fiel dem Chamäleon schwer auf die Beine zu kommen. Immer wieder knickten seine Beine ein und die Knie zitterten ihm.
In diesem Moment bedauerte es Jake irgendwie, dass er Rango nicht sofort zu einem Arzt gebracht hatte. Aber er wollte einfach nicht, wie er es nannte, seine Schwäche eingestehen. Er durfte kein Mitleid haben! Nicht solange er der Sensenmann des Wilden Westens war! Eigentlich hatte er sogar zuerst gehofft, dass Rango schon am Abend krepieren würde, doch dann wollte er nicht, dass er stirbt.
Jake schüttelte den Kopf. Was war nur los mit ihm? Er war doch sonst nie so durcheinander. Sonst hatte er immer klare Richtlinien und Ziele. Hier aber war er hin und her gerissen. Ob er Rango vielleicht doch den Gnadenschuss verpassen sollte?
Nach einigen Versuchen schaffte es Rango endlich auf die Beine zu kommen.
„Also, dann komm!“ sagte Jake und kroch aus der Höhle.
Rango hatte sein Hemd um seinen Bauch gebunden, um die Wunde zu schützen und folgte Jake mit langsamen Schritten.
Sie waren nur wenige Meter weit gekommen, als Jake hinter sich Rangos schwache Rufe hörte. „Jake! Bitte nicht so schnell!“
Jake blickte hinter sich und sah, wie Rango in gekrümmter Haltung mit ihm Schritt zu halten versuchte, wobei er immer wieder keuchte und sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Wunde hielt.
„Was willst du? Bei diesem Tempo kommen wir nie an!“
„Aber… ich kann nicht so schnell“, jammerte Rango.
Seufzend wartete Jake bis das Chamäleon ihn eingeholt hatte. Erschöpft lehnte er sich an den Körper der Schlange, was Jake gar nicht passte. Ärgerlich zog er seinen Körper von Rango weg, sodass dieser geschwächt zu Boden fiel. Schwer atmend richtete er sich wieder auf.
„Jetzt hör auf zu jammern!“, fuhr Jake ihn an, bedauerte aber hinterher wieder seinen strengen Ton, als das kranke, geschwächte Chamäleon sich aufrappelte und sich mühsam auf den Beinen zu halten versuchte.
Jake versuchte es zu ignorieren und zog wieder los. Rango folgte ihm notgedrungen.
Die Sonne hatte den Rand des Horizonts schon längst verlassen und stieg immer höher und entfaltete mit jeder Minute ihre vernichtende Kraft.
Jake stieß ein verärgertes Knurren aus. Immer wieder musste er anhalten, damit Rango eine Pause einlegen konnte, was der Klapperschlange mehr als lästig war.
Als Rango sich zum zehnten Mal erschöpft auf einem Felsen niederließ, riss Jake endgültig der Geduldsfaden.
„Wenn du nicht sofort weitergehst, lass ich dich hier! Ich hätte überhaupt kein Problem damit!“
Mit schmerzverzerrtem Gesicht, raffte sich Rango auf und marschierte von neuem los. Er schwankte hin und her. Seine Kräfte schienen verbraucht.
„Jake“, wisperte er schwach. „Ich kann nicht…“
Weiter kam er nicht. Er stolperte über einen Stein, fiel nach vorne und knallte direkt gegen die Klapperschlange. Auf Jakes Gesicht bildete sich ein Ausdruck von Abscheu. Er kniff die Augen zusammen und funkelte Rango wütend an. Doch dann trafen ihn Rangos Augen und sah, wie sie feucht von Tränen waren. Der einzige Satz, der in ihnen geschrieben stand:
Bitte! Hilf mir!
Ein Seufzer verließ den Mund des Killers. Diesmal konnte er dem Blick nicht ausweichen.
Zwei Blicke war er bis jetzt von Rango gewohnt: Erstens, der ängstliche Blick, wie er ihn von ihrer ersten Begegnung kannte. Und zweitens, wie er es nannte, der Killerblick, als Rango nahe dran gewesen war ihn zu erschießen.
Doch dieser Blick war ihm völlig neu. Ein hilfesuchender Blick, der aber nicht die Hilfe bei anderen, sondern bei ihm suchte. Rango wollte seine Hilfe! Ein völlig neues Gefühl für ihn, aber es stieß ihn nicht ab. Er konnte ihn nicht ignorieren. Rangos Blick wand sich gewissermaßen einen Weg durch seine Augen und drang vor bis in sein Gewissen. Jake kam es vor, als ob eine innere Mauer in ihm fallen würde und etwas frei ließ, was stärker war als sein Stolz. Die Hilfsbereitschaft, die er anderen immer verwehrt hatte. Aber hier konnte er die Hilfe nicht verwehren. Obwohl er zugeben musste, dass er ihm in der Höhle schon `Erste Hilfe´ geleistet hatte. Aber das war eher passiver Natur gewesen. Hier musste er aktiv werden, sonst würde diese Echse sterben.
Rango senkte seinen Blick. Seine Hände glitten an Jake ab und sein Körper sank zu Boden. Schnell beugte sich Jake vor und fing ihn auf. Mit letzter Kraft sah Rango zu ihm hoch. Auch Jake suchte seinen Blick. Die Augen waren fast geschlossen. Wenn sich diese Augen nie wieder öffnen würden…
Jake schüttelte den Kopf. Das war einfach nicht richtig! Nicht solange es noch eine Sache zwischen ihnen zu klären gab. Warum hatte er ihn nicht vorher getragen; statt ihn sich abmühen zu lassen? Es war ein Leichtsinn jemanden mit solch einer Verletzung gehen zu lassen.
Vorsichtig, ganz vorsichtig umwickelte er das halb ohnmächtige Chamäleon und legte ihn sachte auf seinen Rücken, unterhalb seines Revolvergürtels, wo er nicht so leicht runterfallen konnte. Rango bemerkte seine Aktion nur am Rande, schien aber jetzt etwas beruhigter zu sein. Schweigend betrachtete ihn Jake, wie er auf seinen Rücken lag. Noch nie hatte er jemanden erlaubt auf seinem Rücken zu sitzen. Das war gegen seine Würde! Und nun lag dieser ehemals betrügerische Sheriff halbtot dort.
„Jetzt bleib ganz ruhig“, sagte Jake. Die Strenge in seiner Stimme war verschwunden. Sie hatte jetzt sogar einen besorgten, sanften Unterton.
Sachte setzte er sich in Bewegung. Rango hatte die Augen zwar geschlossen, aber noch nicht das Bewusstsein verloren. Er konnte spüren, wie Jake sich mit seinem muskulösen Körper über den Boden fortbewegte. Ein Gefühl, das er bis jetzt von keinem anderen Lebewesen kannte. Die Kraft, die in diesem unbeugsamen, robusten Wüstentier steckte und doch konnte die Klapperschlange diese Kraft kontrollieren.
Auf einmal durchzog Rango ein gleißend stechender Schmerz an der Stelle, wo immer noch die Kugel drin steckte und sich durch seinen ganzen Körper ausbreitete.
Er atmete heftig und versuchte den Schmerz zu ignorieren. Aber der Schmerz wurde immer stärker. Wie eine quälende Kralle, zog er sich um ihn. Rango wimmerte, als der Schmerz einfach nicht mehr nachlassen wollte.
Seine Hand krallte sich in Jakes Revolvergürtel, der um den Oberkörper der Schlange gegurtet war. Vergeblich versuchte er den Schmerz auf seine verkrampfte Hand zu konzentrieren, aber dadurch schien es sich nur noch zu verschlimmern.
Rango wurde schwindelig. Der Schmerz bereitete ihm Übelkeit. In diesem Moment wünschte er sich, Jake würde ihn beißen oder erschießen. Es wäre ihm einfach egal. Er wollte nur endlich diese Schmerzen loswerden.
„J-ake? Ja-ke?“ Seine Stimme zitterte.
Er merkte, wie Jake anhielt und sich über ihn beugte. Rangos Atmung wurde hyperaktiv. Er fasste sich an die Seite. Hatte seine Wunde wieder zu bluten angefangen? Er fühlte wieder warme Feuchtigkeit. Jake zischte leise, aber Rango war viel zu schmerzgeplagt, als darauf zu achten und die Krämpfe vernebelten seine Sinne.
Dann spürte er, wie Jake ihn umschlang und hochhob. Er fühlte hartes Leder. Hatte Jake ihn auf seinen Hut gelegt? Im rasanten Tempo ging es weiter. Rango bekam von alldem nichts mehr mit. Wie ein Toter hing er schlaff an Jakes Kopf runter. Sein Atem wurde immer schwächer.
Im letzten Moment, wo er noch einigermaßen bei vollem Bewusstsein war, rief er Jakes Namen. Sofort bremste Jake ab. Rango spürte, wie er ihn erneut runter in seine Spulen nahm und ihn sachte schüttelte.
„Bleib wach!“, hörte er Jake rufen. „Du darfst jetzt nicht aufgeben, Bruder!“
Um Rango wurde es schwarz. Er spürte, wie er fiel.
„RANGO!“
Be continued...